Barbara Deutschmanns erste Plastiken aus den achtziger Jahren zeigen den Menschen. Figürlich und unvermittelt, auf das Wesentliche eines Typus, ja eines Archetypus reduziert ohne schnörkelhafte Individualisierung. Köpfe und Torsi direkt an die Wand gebracht. Darstellungen der Nacktheit, der Wehrlosigkeit, der Unbehaustheit. Verdichtete Emotion. In einem zweiten Schritt erhalten diese Plastiken vom Menschen ihren eigenen Hintergrund, eine zweite Wand vor der Wand, ein architektonisches Versatzstück. Als sei Martin Heideggers Erkenntnis mit ins Werk gezogen, daß der Mensch erst dort zum Menschen wird, wo er sich anbaut.
In einem weiteren Schritt nimmt die Künstlerin – zunehmend gebannt – diese Architekturen in den Blick. Sie gibt die direkte Repräsentation des Menschen auf. Der Hintergrund avanciert zum Vordergrund und wird zum eigentlichen Thema ihrer Kunst. Mit der Veränderung der Perspektive vollzieht sich auch ein Wechsel des künstlerischen Paradigmas. Barbara Deutschmann arbeitet von Stund an abstrakt und verwirft die Sichtweise ihres Bremer Professors Bernd Altenstein. Die Liquidierung der Mimesis ist radikal. Die neu entstehenden, konstruktiv gestimmten Wand- und Bodenplastiken werden beherrscht von einer Strategie der Auflösung und Neuzusammensetzung.
Auflösung durch Schnitte und Eingriffe ins Material, Neuformierung durch kompositorische und stoffliche Allianzen. Die Bildhauerin schneidet den Stein zu Quadern und Würfeln, zu Rhomben und Winkeln, Kreisen und Kreissegmenten. Sie arbeitet mit Beton und Sandstein, Marmor und Granit, Wachs und Gießharz, Eisen und Pigment. Die unterschiedlichen Formen und Materialien stellt sie in- und gegeneinander. Fläche und Raum, Farbe und Materialität, Leere und Fülle fügen sich zu kontrastreichen und spannungsvollen Strukturen. Das transparente Gießharz schließt Farben und Formen ein, die wie aus einer fernen Zeit an die Oberfläche der Plastik treiben, nicht unähnlich den archaischen Lebewesen, die der Bernstein manchmal gefangen hält.
Ob Barbara Deutschmann eine Form aus Holz baut, Beton einstampft und Kunststoff gießt, ob sie einen Stein schneidet, fräst, ausweidet und mit flüssigem Wachs füllt, ob sie hinter dem hellen Vorhang des Polyesters oder dem trüben Schleier des Paraffins entschlossene Pigmentspuren zieht oder eher die Nuancen nur eines Farbtones differenziert moduliert, ob ihre Plastiken ein- oder mehrteilig sind, ob sie als gegliedertes Ensemble auftreten oder als kompaktes und geschlossenes Ganzes, ob sie sich als runde, rechtwinkelige, quadratische oder irreguläre Form zeigen, immer ist der Gestus dieser Arbeiten rhythmisch, ihr Habitus belebt und ihr Animus belebend.
Der Ursprung dieser Werke aus dem Geist der Musik scheint unverkennbar. Man denkt an die Erinnerungen von Kandinsky und die Geburtsstunde der Abstraktion. War es nicht der Besuch eines Schönberg-Konzertes, der den Künstler zu seinen ersten abstrakten Etüden angeregt hatte? War nicht die Aufgabe des Dreiklanges durch den Komponisten entscheidender Grund für Kandinsky, um den Gegenstand in der bildenden Kunst aufzugeben? Barbara Deutschmanns Arbeiten wirken wie die Notationen einer Partitur. Was auf mimetische Weise unmöglich zu lesen ist, erschließt sich mühelos als skulpturale Musik und als plastischer Rhythmus. Nicht zuletzt die Leerstellen zwischen den gestalteten Elementen wirken wie die notwendigen und sinngebenden Pausen innerhalb einer musikalischen Sequenz.
In Gestus des Musikalischen, aber auch des Kompositorischen und der Materialallianz, finden die Arbeiten der Künstlerin zum Menschen zurück. Nicht nur weil sie in ihrer abstrakten Musikalität ganz wie die Musik selbst auf die Phantasie und die Emotionen des Menschen einwirken. Sondern als Gleichnis der conditio humana. Die Disposition des Formenvokabulars, die Opposition von Positiv und Negativ, Ruhe und Bewegung, Teil und Ganzem, von Raum und Fläche, Transparenz und Trübheit, Licht und Dunkel, drängen in den Werken von Barbara Deutschmann zum Ausgleich und zur Harmonie.
Und dennoch bleiben die Gegensätze sichtbar erhalten. Die Sehnsucht nach Auflösung und Verschmelzung ist immer spürbar da, aber hart im Raum steht gegen jedes Desiderat die Realität des Faktischen. So sind die Arbeiten Echo einer Sehnsucht und Widerhall des Wirklichen zugleich. Ambivalenzen, Gegensätze und Paradoxien spiegeln sich im Werk der Künstlerin wie in der Brust des Menschen. Aber im Werk formieren sie sich zum Reigen; sind sie domestiziert durch die Kraft des Ästhetischen.