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Rainer Beßling 2012

Auszug der Einführungsrede von Rainer Beßling während der Ausstellung „Sweet and Straight“ von Barbara Deutschmann und Ulrik Happy Dannenberg in der kd.kunst Galerie 2012

Barbara Deutschmann

Wie sich zwei so unterschiedliche künstlerische Positionen wie die von Ulrik Happy Dannenberg und Barbara Deutschmann im Ausstellungsraum vertragen würden, war für alle Beteiligten eine spannende Frage. Nun ziehen sich Gegensätze nicht nur an, häufig profitieren beide Seiten auch vom Kontrast und behaupten ihre eigene Sprache umso prägnanter. In diesem Fall darf man wohl von einer höchst anregenden Korrespondenz sprechen, nicht zuletzt weil es beide Künstler verstehen, mit dem Raum zu arbeiten und weil es ihnen gelingt, formale Brücken zwischen ihren Arbeiten zu bauen. Treppenförmige Formationen in den Plastiken verweisen in einer bestimmten Perspektive auf ähnliche Anordnungen in den Objektbildern. Die beruhigten skulpturalen Formen lassen Achsen und Flächen in der Malerei prägnanter zur Geltung kommen. Und es gibt ja auch durchaus konkrete Verbindungen, beispielsweise im Material, allerdings mit unterschiedlichen Vorzeichen. Verwendet Dannenberg das Gießharz, um die Oberflächenwirkung zu verstärken, setzt Deutschmann das Paraffin ein, um einen Blick in das Innere der Plastik zu öffnen. „Wichtig ist insbesondere das, was hinter der Oberfläche geschieht“, ein zentraler Satz der Bremer Künstlerin zu ihrem ästhetischen Konzept.

Mit Einschnitten und Einsätzen lässt die Bildhauerin nicht nur Fenster in Marmor und Granit ein, sie inszeniert in den plastischen Körpern und auf deren Oberflächen vor allem ein lebhaftes Wechselspiel der Materialien, Flächen und Linien. Weiches und Hartes treffen aufeinander, konkreter Stein korrespondiert mit einer eher unbestimmten Stofflichkeit, blockhafte Präsenz mit Transparenz, Schwere mit Leichtigkeit. Der Körper tritt auf den ersten Blick komplett und abgeschlossen auf, öffnungen und Durchblicke nehmen diese Anmutung wieder zurück. Die Grafik der Einschnitte durchbricht die Oberfläche des Steins, der bei reduzierter Farbigkeit keine glatte, sondern eine stofflich und formal bewegte Oberfläche besitzt. Die Plastiken behaupten sich nach außen und wirken in den Raum hinein, zugleich ziehen sie den Blick in das Binnengeschehen.

Der Blick in das Innere des Steins, das lässt sich als Chiffre eines archaischen Wunsches, als Symbol für die Expedition zum Wesenskern der Dinge sehen. In Barbara Deutschmanns Arbeiten wird der Betrachter aber zugleich im Ungewissen gehalten. Das Paraffin sorgt für ein diffuses Licht im Innenleben der Plastik. Wie hinter milchigem Glas schimmern Formationen durch. Auf unterschiedliche Weise werden dabei Linien- und Flächenverläufe aus dem Stein aufgenommen und weitergeführt. Elemente und Formen wiederholen sich außen und innen, Dreiecksformen etwa werden variantenreich durchgespielt, mal setzen sich die Achsen und Kanten wie in Treppenformen fort, mal stehen sie quer zum Stein, mal führen sie ein Eigenleben.

Dem großen formalen Reiz, dem ästhetischen Genuss, der sich aus Strenge und Varianz einstellt, steht eine spannungsvolle inhaltliche Herausforderung zur Seite. Der Blick in ein Inneres, in Räume und auf Elemente, die nicht genau zu bestimmen und zu fassen sind, schafft nur bedingt Durchblick im Sinne einer Entdeckung und Erschließung. Diese Binnenschau aktiviert Imagination und Illusion. Innenraum und der innere Blick des Betrachters begegnen sich. Neben stofflich Greifbarem hat Immaterielles, Gedankliches, Metaphysisches hier seinen Platz. „Räumlichkeit ohne Bodenhaftung“ hat das jemand genannt.

Barbara Deutschmann dürfte das gefallen. Sie bringt zwar alle ihre Arbeiten auf einen rationalen Kern und damit ihre eigenen Absichten prägnant auf den Punkt. Doch hinter dem Konkreten und Reduzierten scheint noch immer eine andere Ebene durch. Zur Strenge und zum Kalkül gesellt sich eine Emotionalität, die durch Geometrie in Schach gehalten wird. Im Fluss und im Dazwischen belassen – das gehört auch zum Credo der Künstlerin. Die Arbeiten nie auf einen, nie auf den ersten Blick wirken lassen, nie nur eine Lesart anbieten. Sowohl Konstruktion als auch Organismus könnte sich aus einem inneren Kern heraus entwickelt haben. Nicht zuletzt steht das Wachs für verschiedene Aggregatzustände und somit auch Wirklichkeitsebenen. Behaupten die Plastiken auch eine abstrakte Sprache, lassen sich bei den Blockformen Assoziationen an Architekturen doch nicht ganz verdrängen. Hier scheinen Urbilder von Häusern aktiviert zu werden, vielleicht auch Vorstellungen von Behausung im existenziellen Sinne. So drängen sich, die Künstlerin mag es nachsehen, Gedanken an frühe Werkphasen der Künstlerin auf, in denen unter dem Einfluss des Studiums bei Bernd Altenstein Figürlichkeit im Mittelpunkt stand. Bekanntlich gestaltet Altenstein den Daseinsort des Menschen mit. Bedenkt man nun noch, dass Barbara Deutschmann mal in der Theaterplastik tätig war, gewinnen die neueren Arbeiten doch zumindest einen interessanten Resonanzraum.

Die Figur ist zwar abgelöst, die Plastik selbst agiert im Raum, spricht durch Material und Form. Geometrie ersetzt Psychologie, kein menschlicher Auftritt wird begleitet, keine mimetische Abbildung ist anvisiert – und doch wecken nicht wenige Plastiken Barbara Deutschmanns unmittelbar und mit großer Vehemenz Gedanken und Empfindungen an Menschliches, an Kategorien und Bedingungen menschlicher Existenz.

Neben den blockhaften Hausformen sind es vor allem auch die jüngeren stelenartigen Formen, die solche Assoziationen hervorrufen. Durch die Paraffineinlagerungen, auf den ersten Blick wie Intarsien mit ornamentalen Elementen, zieht sich eine Mittelachse wie eine Wirbelsäule. Das Innenleben der Plastiken gleicht einem Skelett, die kühle strenge Konstruktion besitzt somit einen organischen Kern. Der Daseinszustand ist ambivalent, die Brücke zur Natur aber unübersehbar. Die Natur ist, auch wenn sie nicht nachgebildet wird, auch wenn Analogien sich nach dem intuitiven Schaffensprozess erst im Nachhinein einstellen können, die oberste Referenz für Formschönheit und -klarheit.

Und was sich aus Barbara Deutschmanns Werken über die menschliche Existenz ablesen lässt: Es ist nicht so sehr die äußere Gestalt, die daran denken lässt, sondern es sind formale, strukturelle Momente. Das Ineinandergreifen verschiedener Stoffe und Formen, Kontrast und Korrespondenz, Aktion und Reaktion. Eine Einheit in Kontrapunkten, Verläufe mit Brüchen. Das Aufgehen des Einzelnen im Ganzen. Wegnehmen und ergänzen, öffnen und schließen. Die Bildhauerin arbeitet mit Oppositionen und hat immer den vollständigen Körper im Blick. Nicht um Fragmente geht es, sondern um eine Geschlossenheit, die permanent auf dem Weg ist, als fließender Prozess und als Dialog zwischen Innen und Außen.