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Michael Stoeber 2001

Michael Stoeber, Kestnergesellschaft Hannover - Katalog "Raum - Teile”, 2001 Bodenlos - Zur neuen Werkserie der "Raum-Teile" von Barbara Deutschmann

Die Bremer Bildhauerin Barbara Deutschmann ist mit Arbeiten bekanntgeworden, die ihre Kraft gewinnen aus dem gelingenden Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher Materialien. Wenn sie Zemente und Wachse, Gießharze und Eisen in ihren Werken verwendet, agieren nicht nur unterschiedliche Stoffe miteinander, sondern diese Stoffe sind auch die Protagonisten einer fundamentalen Opposition. Im Dialog stehen das Feste und das Weiche, ein sich Öffnendes gegen ein sich Verschließendes, das Rauhe gegen das Glatte, das Schwere gegen das Leichte, ein Mineralisches gegen ein Organisches. In dieser Opposition scheint das Analogon zu einer dialektischen, in Thesis und Antithesis organisierten und gedachten Welt immer schon mitgestaltet.

„Raum-Teile“ heißt die Ausstellung von Barbara Deutschmann in der Hamburger Galerie Renate Kammer. Der Titel hat zweifache Bedeutung. Zum einen verweist er darauf, daß die Anregung zur Realisierung der aktuellen Werkserie aus einer Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem Raum hervorgeht, wo die Ausstellung stattfindet. Bei den meisten Arbeiten gibt es konkrete Verweise auf die Architektur. Zum anderen geht es Deutschmann aber auch um die Thematisierung von Räumlichkeit selbst in einer mehr abstrakten, allgemeineren Weise und darum, wie wir sie wahrnehmen.

Auch der zweite Begriff des Ausstellungstitels schillert ambivalent. Raum wird von Deutschmann stets dargestellt als Teil, Abriss, Anspielung, als Fragment. Zum anderen umfaßt die Ausstellung aber auch drei Teile oder drei aufeinander bezogene Stationen oder Akte wie in einem Theaterstück. Da sind zum einen die kleinen Arbeiten, die konzeptuell am Anfang stehen, auch wenn sie nicht als erste ausgeführt wurden. Sie sind den Bildhauerskizzen am nächsten, jenen minimalistischen, winzigen Motiven, die Deutschmann in notizbuchartigen Zeichenheften versammelt. Die Themen der kleinen Arbeiten, „Räume II/I-XII“, entfernen sich am weitesten von Deutschmanns Annäherung an den Ausstellungsraum und buchstabieren das Alphabet der Räumlichkeit in eher abstrakter Manier.

Enger binden sich die großen Arbeiten mit dem Titel „Räume I“ an konkrete Motive der Galeriesituation. „Räume I/I“ thematisiert den Abschluß des unteren Säulenschaftes der neugotischen Pfeiler im Ausstellungsraum. Er erscheint seitenverkehrt als dunkelgraue Trapezform aus Paraffin, die der Beton einschließt wie eine kostbare Intarsie. „Räume I/II“ spielt mit zwei hellen Flächen, die die unterschiedlichen Ebenen der Galerie spiegeln. „Räume I/III“ simuliert mit einer zweiteiligen Arbeit über Eck die Bewegung der Strebebögen der Galeriedecke. Das dunkle Wachspigment zeichnet die Lineaturen der Bögen, das helle Paraffin die weiße Decke. Das Motiv wirkt wie ein perspektivisch verzerrtes, aufgeschlagenes Buch. Auch „Räume I/IV“ zeigt eine verschobene Perspektive. Es ist der Blick des Betrachters von unten nach oben, dem die übereinanderliegenden Quadrate des Säulenkapitells wie zwei sich überschneidende Rhomben erscheinen. „Räume I/V“ schließlich zielt motivisch auf den Ort, wo Wand und Decke zusammenstoßen.

Die großen Werke kommen mit wenigen Farben aus. Die Pigmentierung des Betons ist entweder rostrot oder anthrazitgrau, die des Paraffins umfaßt die ganze Farbpalette vom hellen Weißgrau bis zum dunklen Grauschwarz. Alle Stücke sind zweiteilig. Dadurch inszenieren sie einen grundsätzlichen Riß, der durch das jeweilige Motiv geht. Ganz unübersehbar bestimmt dieser Riß auch die dritte Partie der Werke, die sechs Bodenarbeiten aus weißem Beton. Sie orientieren sich in ihrer Faktur an dem gewölbten Ornamentring am oberen Ende des Säulenschaftes, den sie als Flachrelief maßstabsgerecht auf den Boden bewegen. Eingefaßt von einem Eisenquadrat und hellem Gießharz sprengt der Riß die Quadrate in zwei symmetrische, rechtwinklige Dreiecke.

In der Bodenarbeit zeigt sich in unübersehbarer Klarheit, was auch in den „Räumen I und II“ angelegt ist. Spiegelungen und Symmetrien einerseits, Verschiebungen und Brechungen andererseits. In den Wandarbeiten ist das Spiel von geometrischer Transparenz und verrätselnder Präsenz feiner organisiert. Die Beziehungen von Linie, Fläche und Raum stehen in einem ebenso intrikaten wie irritierenden Zusammenhang. Auch wenn Deutschmanns neue Werke deutlich architekturaler, räumlicher und weniger rhythmisch sind als ältere Arbeiten: das Fragmentarische, Verschobene und Gebrochene der „Raum-Teile“ macht, daß diese Räumlichkeit im Grunde keine Bodenhaftung hat. Die Architektur stürzt ins Bodenlose und ihre Koordinaten laufen ins Leere. Damit tauchen hinter Barbara Deutschmanns streng konzeptuellen Werken einmal mehr die Konturen einer Existenzmetapher auf, werden sie zur spröden Parabel zeitgenössischer condition humaine.