Barbara Deutschmann

Jens Trimpin-2021

EN

Jens Trimpin 2012

So augenfällig ist das willkürlich Spielerische (Utopische), das den Grafiken und Skulpturen / Plastiken (?) eingeschrieben ist, so evident die „Familienähnlichkeit“ der scharfen / harten Lineaturen und verklappten, übereinander gelegten vor- und zurückdrängenden Flächen in oft formaler Verdoppelung, dass die jeweilige Andersartigkeit der Fügung der einzelnen
Volumen – Stein / Paraffin verzahnt – der dreidimensionalen Gebilde diese unendliche Ornamentik (in einer endlichen Welt) der Streifen und Winkelflächen und der lichtführenden Körper zu einem Klanggebilde ganz eigener Art verwebt.

Jens Trimpin

Susannah Cremer-Bermbach-2021

EN

Susannah Cremer-Bermbach 2021

Cum Cera

Die Skulpturen und Papierarbeiten von Barbara Deutschmann

„... Aber die Form ist auch, und zwar meistens, das, was hineinschneidet ins Gelebte, um etwas freizulegen, mit dem man die Endlichkeit vergisst: ein Vergessen, das man für Schönheit halten wird.“1

Die Skulpturen präsentieren sich zunächst als geometrische Formen, aus gegensetzlichen Materialien gefügt:
hart, schwer, opak der Beton oder Stein, vergleichsweise weich, durch seine Lichtdurchlässigkeit scheinbar leicht das Wachs. Auf den zweiten Blick erweist sich auch das technische Verfahren als gegensetzlich: Widerständiges, dauerhaftes Material, in Form gehauen oder geschnitten, und in seiner Konsistenz temperaturabhängiges Material, in Form gegossen – ein skulpturaler und ein plastischer Vorgang, jeweils mit langer Tradition, in einem Werk vereint. Dazwischen liegt das Gewahrwerden eines weiteren Gegensatzes: geometrische Formen und Linien, die außen klar und präzise konturiert sind, treten innerhalb der Wachsformen unscharf in Erscheinung. Dieser Einblick in ein mit linearen Formen bezeichnetes Innenräumliches, das sich gleich einem Schattenraum optisch trotz der äußeren Klarheit nicht eindeutig erfassen lässt, ist das eigentliche Ereignis.

Darauf ist das komplexe Herstellungsverfahren abgestimmt. Als Ausgangsmaterial dient neben Beton vor allem Kalkstein und Marmor. Wichtig ist Barbara Deutschmann ein hoher Härtegrad, eine feinkristalline, wenig marmorierte Struktur und eine zurückhaltende, homogene, helle bis dunkle Farbigkeit. Einmal gewählt und auf die ihm innewohnenden formalen Möglichkeiten hin begutachtet, erhält der Stein seine äußere geometrische Form. Seine Oberfläche wird poliert und dann geriffelt. Von winzigen Kerben zersplittert, die ihren Glanz feinporig herunterbrechen, entsteht eine homogene Textur. Beim Betonstück ergibt sich die offenporige Textur durch Lufteinschlüsse beim Gießen auf der ansonsten glatten Oberfläche von selbst. In beiden Materialien finden sich des öfteren lineare Einschnitte. Anzahl, Größe, Position und Tiefe der zu entfernenden Teile werden festgelegt und dann herausgeschnitten. Es folgt die Positionierung und Verankerung separat angefertigter linearer Formen aus schwarz, seltener aus farbig gefärbtem, formstabilem Hartwachs in den Ausschnitten. Diese werden anschließend mit dem erwärmten, farblosen Paraffin aufgefüllt. Sobald der Härtungsprozess beendet ist, wird die Oberfläche geschliffen und poliert.

Es ist ein Arbeitsprozess in mehreren Etappen, von denen jede einzelne ein hohes Maß an Erfahrung im Umgang mit den verwendeten Materialien, Respekt vor ihren spezifischen Eigenschaften und handwerkliche Sorgfalt einfordert. Für die Papierarbeiten, die seit einigen Jahren unabhängig von den Skulpturen entstehen, gilt ähnliches, auch wenn die einzelnen Schritte weniger aufwendig und komplex sind und daher direkter erfolgen können. Als Bildträger liegt ihnen ausnahmslos stabiles, aber nicht zu festes, saugfähiges Papier mit auffälliger Eigenstruktur zugrunde: bevorzugt langfaseriges und unregelmäßig strukturiertes wie handgeschöpftes oder Hanf- und Himalaya-Papier, seltener relativ gleichmäßig strukturiertes Papier wie Bütten. Zunächst werden mit dem Enkaustikstift vorderseitig eckige Flächen, teilweise perspektivisch verzerrt und von linearen Leerstellen gegliedert, aus farblosem Paraffin, und dann rückseitig ähnliche Flächen und dünne Linien aus schwarz gefärbtem Paraffin aufgetragen. Abschließend erfahren jene schwarzen Flächen, die außerhalb der farblosen Paraffinschicht liegen, vorderseitig nochmals eine Nachbearbeitung mit schwarz gefärbtem Wachs. Dadurch entsteht auch hier ein Wechselspiel zwischen opaken und transparenten, präzise konturierten und unscharfen Linien und Flächen, zwischen Statik und Dynamik. Das konstruktive Erscheinungsbild wird dabei spielerisch unterwandert durch Verschiebungen und Verschachtelungen, die zunächst plausibel erscheinen, sich dann aber meist als mehr oder weniger widersprüchlich erweisen. Mit einem Abstandshalter mittig auf dem Untergrund des Rahmens befestigt, entfaltet die Papierarbeit unterdessen unabhängig von dieser irritierenden Flächenraumkonstruktion ihre eigene, reale, durch Wellungen und Wölbungen zuätzlich verstärkte Körperhaftigkeit.

Als Steinbildhauerin ist sich Barbara Deutschmann der langen, bis weit ins 19. Jahrhundert von der griechisch-römischen Antike geprägten Kunstgeschichte dieser Gattung bewusst. Ebenso kennt sie die traditionellen Anwendungsbereiche von Wachs, dem die Antike kaum eine eigene bildnerische Qualität zuerkannte. In der Malerei wurde es als unverzichtbarer Bestandteil zum Binden von Farbpigmenten geschätzt, um sie im enkaustischen Verfahren heiß auf den Bildträger aufzutragen und mit diesem fest zu verschmelzen. Anwendung fand die Enkaustik bevorzugt bei Mumienportraits und später bei frühchristlichen Ikonen. Bei der Anfertigung von Skulpturen und Plastiken, insbesondere von Totenmasken, hatte Wachs eine wichtige, wenngleich vornehmlich dienende Funktion als Modell und Gussform inne. Die Römer benutzten es zudem, um Fehlstellen bei ihren Figuren auszugleichen. Von Ausnahmen abgesehen, blieb Wachs bis ins 20. Jahrhundert hinein ein plastisches Gebrauchsmaterial, dessen sichtbarer Einsatz hauptsächlich in kunstgewerblichen Bereichen erfolgte, von
Wachsfiguren und Puppenköpfen über anatomische Präparate und Moulagen bis hin zu Andachtsbildern und Votivgaben. Heute beschränkt sich die Präsenz von Wachs weitgehend auf Kerzen.

Während ihrer Ausbildung zur Bühnenplastikerin am Nationaltheater in Mannheim und in ihrem Studium an der Hochschule für Künste in Bremen in den 1980er-Jahren beschäftigte sie sich gleichermaßen mit figürlichen wie mit abstrakten Formen. Auch fing sie in dieser Zeit an, mit Stein und Beton, Wachs und Gießharz zu arbeiten. Mit dem Beginn ihrer freischaffenden Tätigkeit 1992 konzentrierte sich Barbara Deutschmann ausschließlich auf diese Materialien und die geometrische Formensprache. In den 1990er-Jahren entstanden zunächst mehrteilige Wandskulpturen, bei denen gegossene Teile aus Beton und ein- oder mehrfarbige Teile aus Paraffin in einen Dialog treten. Schon hier zeigte sich ihre Auseinandersetzung mit Statik und Dynamik,
mit Ruhe und Bewegung, mit der Rhythmisierung von Bewegung und Gegenbewegung. Dementsprechend waren Techniken wie Wachs in Beton zu gießen und linear verlaufende Formen aus Hartwachs in Paraffin zu integrieren früh präsent.

Die mehrteilige Wandskulptur blieb über viele Jahre die bevorzugte Gestaltungsweise. Das zunehmende Hadern mit der Wand als Grenze, als Begrenzung des Raums, führte schließlich zur körperlich-räumlichen Autonomie der freistehenden Skulptur, die in ihrer Allansichtigkeit auch die Befragungsmöglichkeiten der Bewegungsthematik erweitert. Die hier gewonnenen Erfahrungen eröffneten der Künsterin wiederum eine neue Sicht auf die Möglichkeiten der Fläche, die sie heute in den Papierarbeiten auslotet.

Die Fähigkeit, genau hinzuschauen und mit den Augen Maß zu nehmen, überprüft Barbara Deutschmann gelegentlich, indem sie Figuren und Gegenstände zeichnet. Diese privaten ‚ Fingerübungen‘ wären kaum der Erwähnung wert, hätten sie nicht Teil an einem kunsthistorischen Hintergrundstrahlen, das gerade die Skulpturen gleichsam feinstofflich zu durchdringen scheint. Ihre lateinischen Titel verweisen mit beiläufiger Souveränität darauf. Sie zeigt sich noch weit prägnanter und pointierter im Katalogtitel. Die Bezeichnung ‚ SINE CERA‘ war in der römischen Antike ein Qualitätsmerkmal für eine perfekt ausgeführte Skulptur oder Plastik, die keiner weiteren Ergänzung mit Wachs bedurfte. Im Umkehrschluss verweist ‚ CUM CERA‘ augenzwinkernd auf ein handwerklich entfernt vergleichbares, der Intention jedoch diametral entgegengesetztes Vorgehen: Der Stein wird gezielt fragmentarisiert, um die fehlenden Teile durch Wachs erneut zu einem den äußeren Konturen nach kompakten plastischen Volumen zu formen. Dabei sind beide Materialien, das skulptural ebenso wie das plastisch geformte, autonom und gleichwertig behandelt und zugleich in kontrastierender Weise aufeinander bezogen.

Ihre klare, geometrische, dem harmonischen Maßverpflichtete Formensprache rückt die Skulpturen und Papierarbeiten in die Nähe der konkreten Kunst, deren Ziel Max Bill 1947 darin sah, „Gegenstände für den geistigen Gebrauch zu entwickeln…“. Damit war primär die rationale bzw. intellektuelle Beschäftigung mit Kunst gemeint. Der optische Sinn sollte in erster Linie als ‚ denkendes‘ Auge angesprochen und gebildet werden. Die Skulpturen von Barbara Deutschmann gehen darüber hinaus. Zunächst einmal verführen sie das Auge: Zum materialgerechten Umgang mit Stein, Beton oder Papier und Wachs, entsprechend ihren jeweils spezifischen Eigenschaften, zählt ganz wesentlich die Entfaltung der dem Material innewohnenden Schönheit. Zusätzlich verstärkt durch die ausgewogene Proportionierung der Teile zueinander, strahlen sie zusammen mit der sehr zurückhaltenden Farbigkeit Ruhe und Stille aus. Nicht zuletzt wecken die Materialien und ihre sorgfältige Behandlung das Bedürfnis, diese zu berühren. Die aufgeraute Oberfläche lässt den Stein wie von einer feinporigen Haut umhüllt und dadurch fast zart, verletzbar und eher warm als kalt erscheinen. Die glatt geschliffene Oberfläche der Wachsform wirkt dagegen fest und widerstandsfähig, eher kühl als warm. Die eingegossenen dunklen Formen aus Hartwachs vermögenan Einschlüsse bei fossilem Harz zu erinnern. Kaum merklich widerspricht der optische Eindruck damit dem Wissen um die Beschaffenheit von Stein und Wachs, und weckt das Verlangen, sich haptisch zu vergewissern.

Die sinnliche Attraktivität wird noch gesteigert durch die Semitransparenz des Wachses, die nur diffuse Einblicke in das Innere des plastischen Körpers gewährt. Je nach den Lichtverhältnissen des Umgebungsraums mal mehr, mal weniger deutlich zu erkennen, setzen die darin eingeschlossenen linearen Formen die in Stein geschnittenen Linien in ihrem horizontalen, vertikalen oder diagonalen Verlauf fort, verbinden und ergänzen sie. Gelegentlich bilden sie geometrische K rper. Oder sie spiegeln Formen, die sich durch die aus dem Stein geschnittenen Teile ergeben. Der Versuch, zwischen tatsächlicher Beschaffenheit und Illusion, zwischen Sein und Schein zu unterscheiden, scheitert an der mangelnden Eindeutigkeit. Das Misslingen eröffnet wiederum dem Vorstellungsverm gen oder ‚ inneren Auge‘ (sofern ausgebildet) die Möglichkeit, den Raum durch eigene Gedanken und erinnerte Bilder mit und weiter zu gestalten. Es geht also um eine reflektierte und sich selbst
reflektierende Wahrnehmung. Und diese wird weniger durch das optisch eindeutig zu Erfassende angeregt als vielmehr durch eine Unschärfe, wie wir sie beim Blick aus dem Zugfenster auf die vorbeiziehende Landschaft erleben. Als Projektionsfläche des Geistigen wie des Psychischen führt sie zugleich vor Augen, dass wir immer mehr wahrnehmen als das, was deutlich sichtbar ist.2

Das eigentliche Thema der Kunstwerke Barbara Deutschmanns ist also weder die geometrische, reduzierte Formensprache noch die zur Synthese gebrachte Gegensätzlichkeit der Materialien. Grundlegend und allen Werkgruppen gemeinsam ist vielmehr die im Wechselspiel von Klarheit und Unschärfe, von Statik und Dynamik, von Bewegung, Gegenbewegung und Ruhe sich aufbauende Irritation, die mit der gleichsam implodierenden Bewegungsdynamik das raumzeitliche Gefüge zu verschieben scheint. In den Arbeiten auf Papier wird dieser Eindruck hervorgerufen durch die perspektivische Verschiebung von Linien und Flächen, die mal unscharf, mal scharf konturiert übereinander geschichtet sind. In den Skulpturen resultiert er aus dem Innenleben der Wachsform. Deren Konsistenz lässt die Konturen der linearen Formen weich verschwimmen, wie mit
der Sfumato-Technik gemalt. Wir erfahren nichts Genaues, nicht über ihre tatsächliche formale Beschaffenheit und schon gar nicht über den Raum, in dem sie sich befinden. Die äußere Form lässt den Rückschluss zu, dass er klein sein muss. Seine Höhe und Breite können wir optisch ermessen. In Ungewissheit lässt uns allein seine Tiefe oder vielmehr seine Untiefe. Sie wird subtil verstärkt, wenn sich die in Wachs gegossenen Linien in denen in Stein oder Beton geschnittenen fortsetzen. Oder nochmals gesteigert, wenn sich die Linien zur perspektivischen Darstellung einer geometrischen Form fügen. Dank der Unschärfe als Innenraum, vor allem aber als Illusionsraum ad absurdum geführt, bleibt schließlich die Wahrnehmung von etwas, das sich als Widerschein, Schatten oder Schemen von etwas Eingeschlossenem oder einer Ablagerung im Zwischenräumlichen abzeichnet und sich nur jenseits der Messbarkeit von Raum und Zeit in einem Gedanken, einem Gefühl, einer Erinnerung, einer Erkenntnis vollendet und erfüllt.

1 Yves Bonnefoy, Der rote Schal, München 2018, S. 219
2 siehe weiterführend dazu: Wolfgang Ullrich, Die Geschichte der Unschärfe, Berlin 2002

Michael Stoeber-1999

EN

Michael Stoeber 1999

Michael Stoeber, Kestnergesellschaft Hannover – Katalog "Skulpturen", 1999 
Plastische Partituren - Zum Werk von Barbara Deutschmann

Barbara Deutschmanns erste Plastiken aus den achtziger Jahren zeigen den Menschen. Figürlich und unvermittelt, auf das Wesentliche eines Typus, ja eines Archetypus reduziert ohne schnörkelhafte Individualisierung. Köpfe und Torsi direkt an die Wand gebracht. Darstellungen der Nacktheit, der Wehrlosigkeit, der Unbehaustheit. Verdichtete Emotion. In einem zweiten Schritt erhalten diese Plastiken vom Menschen ihren eigenen Hintergrund, eine zweite Wand vor der Wand, ein architektonisches Versatzstück. Als sei Martin Heideggers Erkenntnis mit ins Werk gezogen, daß der Mensch erst dort zum Menschen wird, wo er sich anbaut.

In einem weiteren Schritt nimmt die Künstlerin – zunehmend gebannt – diese Architekturen in den Blick. Sie gibt die direkte Repräsentation des Menschen auf. Der Hintergrund avanciert zum Vordergrund und wird zum eigentlichen Thema ihrer Kunst. Mit der Veränderung der Perspektive vollzieht sich auch ein Wechsel des künstlerischen Paradigmas. Barbara Deutschmann arbeitet von Stund an abstrakt und verwirft die Sichtweise ihres Bremer Professors Bernd Altenstein. Die Liquidierung der Mimesis ist radikal. Die neu entstehenden, konstruktiv gestimmten Wand- und Bodenplastiken werden beherrscht von einer Strategie der Auflösung und Neuzusammensetzung.

Auflösung durch Schnitte und Eingriffe ins Material, Neuformierung durch kompositorische und stoffliche Allianzen. Die Bildhauerin schneidet den Stein zu Quadern und Würfeln, zu Rhomben und Winkeln, Kreisen und Kreissegmenten. Sie arbeitet mit Beton und Sandstein, Marmor und Granit, Wachs und Gießharz, Eisen und Pigment. Die unterschiedlichen Formen und Materialien stellt sie in- und gegeneinander. Fläche und Raum, Farbe und Materialität, Leere und Fülle fügen sich zu kontrastreichen und spannungsvollen Strukturen. Das transparente Gießharz schließt Farben und Formen ein, die wie aus einer fernen Zeit an die Oberfläche der Plastik treiben, nicht unähnlich den archaischen Lebewesen, die der Bernstein manchmal gefangen hält.

Ob Barbara Deutschmann eine Form aus Holz baut, Beton einstampft und Kunststoff gießt, ob sie einen Stein schneidet, fräst, ausweidet und mit flüssigem Wachs füllt, ob sie hinter dem hellen Vorhang des Polyesters oder dem trüben Schleier des Paraffins entschlossene Pigmentspuren zieht oder eher die Nuancen nur eines Farbtones differenziert moduliert, ob ihre Plastiken ein- oder mehrteilig sind, ob sie als gegliedertes Ensemble auftreten oder als kompaktes und geschlossenes Ganzes, ob sie sich als runde, rechtwinkelige, quadratische oder irreguläre Form zeigen, immer ist der Gestus dieser Arbeiten rhythmisch, ihr Habitus belebt und ihr Animus belebend.

Der Ursprung dieser Werke aus dem Geist der Musik scheint unverkennbar. Man denkt an die Erinnerungen von Kandinsky und die Geburtsstunde der Abstraktion. War es nicht der Besuch eines Schönberg-Konzertes, der den Künstler zu seinen ersten abstrakten Etüden angeregt hatte? War nicht die Aufgabe des Dreiklanges durch den Komponisten entscheidender Grund für Kandinsky, um den Gegenstand in der bildenden Kunst aufzugeben? Barbara Deutschmanns Arbeiten wirken wie die Notationen einer Partitur. Was auf mimetische Weise unmöglich zu lesen ist, erschließt sich mühelos als skulpturale Musik und als plastischer Rhythmus. Nicht zuletzt die Leerstellen zwischen den gestalteten Elementen wirken wie die notwendigen und sinngebenden Pausen innerhalb einer musikalischen Sequenz.

In Gestus des Musikalischen, aber auch des Kompositorischen und der Materialallianz, finden die Arbeiten der Künstlerin zum Menschen zurück. Nicht nur weil sie in ihrer abstrakten Musikalität ganz wie die Musik selbst auf die Phantasie und die Emotionen des Menschen einwirken. Sondern als Gleichnis der conditio humana. Die Disposition des Formenvokabulars, die Opposition von Positiv und Negativ, Ruhe und Bewegung, Teil und Ganzem, von Raum und Fläche, Transparenz und Trübheit, Licht und Dunkel, drängen in den Werken von Barbara Deutschmann zum Ausgleich und zur Harmonie.

Und dennoch bleiben die Gegensätze sichtbar erhalten. Die Sehnsucht nach Auflösung und Verschmelzung ist immer spürbar da, aber hart im Raum steht gegen jedes Desiderat die Realität des Faktischen. So sind die Arbeiten Echo einer Sehnsucht und Widerhall des Wirklichen zugleich. Ambivalenzen, Gegensätze und Paradoxien spiegeln sich im Werk der Künstlerin wie in der Brust des Menschen. Aber im Werk formieren sie sich zum Reigen; sind sie domestiziert durch die Kraft des Ästhetischen.

Michael Stoeber-2001

EN

Michael Stoeber 2001

Michael Stoeber, Kestnergesellschaft Hannover - Katalog "Raum - Teile”, 2001 Bodenlos - Zur neuen Werkserie der "Raum-Teile" von Barbara Deutschmann

Die Bremer Bildhauerin Barbara Deutschmann ist mit Arbeiten bekanntgeworden, die ihre Kraft gewinnen aus dem gelingenden Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher Materialien. Wenn sie Zemente und Wachse, Gießharze und Eisen in ihren Werken verwendet, agieren nicht nur unterschiedliche Stoffe miteinander, sondern diese Stoffe sind auch die Protagonisten einer fundamentalen Opposition. Im Dialog stehen das Feste und das Weiche, ein sich Öffnendes gegen ein sich Verschließendes, das Rauhe gegen das Glatte, das Schwere gegen das Leichte, ein Mineralisches gegen ein Organisches. In dieser Opposition scheint das Analogon zu einer dialektischen, in Thesis und Antithesis organisierten und gedachten Welt immer schon mitgestaltet.

„Raum-Teile“ heißt die Ausstellung von Barbara Deutschmann in der Hamburger Galerie Renate Kammer. Der Titel hat zweifache Bedeutung. Zum einen verweist er darauf, daß die Anregung zur Realisierung der aktuellen Werkserie aus einer Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem Raum hervorgeht, wo die Ausstellung stattfindet. Bei den meisten Arbeiten gibt es konkrete Verweise auf die Architektur. Zum anderen geht es Deutschmann aber auch um die Thematisierung von Räumlichkeit selbst in einer mehr abstrakten, allgemeineren Weise und darum, wie wir sie wahrnehmen.

Auch der zweite Begriff des Ausstellungstitels schillert ambivalent. Raum wird von Deutschmann stets dargestellt als Teil, Abriss, Anspielung, als Fragment. Zum anderen umfaßt die Ausstellung aber auch drei Teile oder drei aufeinander bezogene Stationen oder Akte wie in einem Theaterstück. Da sind zum einen die kleinen Arbeiten, die konzeptuell am Anfang stehen, auch wenn sie nicht als erste ausgeführt wurden. Sie sind den Bildhauerskizzen am nächsten, jenen minimalistischen, winzigen Motiven, die Deutschmann in notizbuchartigen Zeichenheften versammelt. Die Themen der kleinen Arbeiten, „Räume II/I-XII“, entfernen sich am weitesten von Deutschmanns Annäherung an den Ausstellungsraum und buchstabieren das Alphabet der Räumlichkeit in eher abstrakter Manier.

Enger binden sich die großen Arbeiten mit dem Titel „Räume I“ an konkrete Motive der Galeriesituation. „Räume I/I“ thematisiert den Abschluß des unteren Säulenschaftes der neugotischen Pfeiler im Ausstellungsraum. Er erscheint seitenverkehrt als dunkelgraue Trapezform aus Paraffin, die der Beton einschließt wie eine kostbare Intarsie. „Räume I/II“ spielt mit zwei hellen Flächen, die die unterschiedlichen Ebenen der Galerie spiegeln. „Räume I/III“ simuliert mit einer zweiteiligen Arbeit über Eck die Bewegung der Strebebögen der Galeriedecke. Das dunkle Wachspigment zeichnet die Lineaturen der Bögen, das helle Paraffin die weiße Decke. Das Motiv wirkt wie ein perspektivisch verzerrtes, aufgeschlagenes Buch. Auch „Räume I/IV“ zeigt eine verschobene Perspektive. Es ist der Blick des Betrachters von unten nach oben, dem die übereinanderliegenden Quadrate des Säulenkapitells wie zwei sich überschneidende Rhomben erscheinen. „Räume I/V“ schließlich zielt motivisch auf den Ort, wo Wand und Decke zusammenstoßen.

Die großen Werke kommen mit wenigen Farben aus. Die Pigmentierung des Betons ist entweder rostrot oder anthrazitgrau, die des Paraffins umfaßt die ganze Farbpalette vom hellen Weißgrau bis zum dunklen Grauschwarz. Alle Stücke sind zweiteilig. Dadurch inszenieren sie einen grundsätzlichen Riß, der durch das jeweilige Motiv geht. Ganz unübersehbar bestimmt dieser Riß auch die dritte Partie der Werke, die sechs Bodenarbeiten aus weißem Beton. Sie orientieren sich in ihrer Faktur an dem gewölbten Ornamentring am oberen Ende des Säulenschaftes, den sie als Flachrelief maßstabsgerecht auf den Boden bewegen. Eingefaßt von einem Eisenquadrat und hellem Gießharz sprengt der Riß die Quadrate in zwei symmetrische, rechtwinklige Dreiecke.

In der Bodenarbeit zeigt sich in unübersehbarer Klarheit, was auch in den „Räumen I und II“ angelegt ist. Spiegelungen und Symmetrien einerseits, Verschiebungen und Brechungen andererseits. In den Wandarbeiten ist das Spiel von geometrischer Transparenz und verrätselnder Präsenz feiner organisiert. Die Beziehungen von Linie, Fläche und Raum stehen in einem ebenso intrikaten wie irritierenden Zusammenhang. Auch wenn Deutschmanns neue Werke deutlich architekturaler, räumlicher und weniger rhythmisch sind als ältere Arbeiten: das Fragmentarische, Verschobene und Gebrochene der „Raum-Teile“ macht, daß diese Räumlichkeit im Grunde keine Bodenhaftung hat. Die Architektur stürzt ins Bodenlose und ihre Koordinaten laufen ins Leere. Damit tauchen hinter Barbara Deutschmanns streng konzeptuellen Werken einmal mehr die Konturen einer Existenzmetapher auf, werden sie zur spröden Parabel zeitgenössischer condition humaine.

Rainer Beßling-2012

EN

Rainer Beßling 2012

Auszug der Einführungsrede von Rainer Beßling während der Ausstellung „Sweet and Straight“ von Barbara Deutschmann und Ulrik Happy Dannenberg in der kd.kunst Galerie 2012

Barbara Deutschmann

Wie sich zwei so unterschiedliche künstlerische Positionen wie die von Ulrik Happy Dannenberg und Barbara Deutschmann im Ausstellungsraum vertragen würden, war für alle Beteiligten eine spannende Frage. Nun ziehen sich Gegensätze nicht nur an, häufig profitieren beide Seiten auch vom Kontrast und behaupten ihre eigene Sprache umso prägnanter. In diesem Fall darf man wohl von einer höchst anregenden Korrespondenz sprechen, nicht zuletzt weil es beide Künstler verstehen, mit dem Raum zu arbeiten und weil es ihnen gelingt, formale Brücken zwischen ihren Arbeiten zu bauen. Treppenförmige Formationen in den Plastiken verweisen in einer bestimmten Perspektive auf ähnliche Anordnungen in den Objektbildern. Die beruhigten skulpturalen Formen lassen Achsen und Flächen in der Malerei prägnanter zur Geltung kommen. Und es gibt ja auch durchaus konkrete Verbindungen, beispielsweise im Material, allerdings mit unterschiedlichen Vorzeichen. Verwendet Dannenberg das Gießharz, um die Oberflächenwirkung zu verstärken, setzt Deutschmann das Paraffin ein, um einen Blick in das Innere der Plastik zu öffnen. „Wichtig ist insbesondere das, was hinter der Oberfläche geschieht“, ein zentraler Satz der Bremer Künstlerin zu ihrem ästhetischen Konzept.

Mit Einschnitten und Einsätzen lässt die Bildhauerin nicht nur Fenster in Marmor und Granit ein, sie inszeniert in den plastischen Körpern und auf deren Oberflächen vor allem ein lebhaftes Wechselspiel der Materialien, Flächen und Linien. Weiches und Hartes treffen aufeinander, konkreter Stein korrespondiert mit einer eher unbestimmten Stofflichkeit, blockhafte Präsenz mit Transparenz, Schwere mit Leichtigkeit. Der Körper tritt auf den ersten Blick komplett und abgeschlossen auf, öffnungen und Durchblicke nehmen diese Anmutung wieder zurück. Die Grafik der Einschnitte durchbricht die Oberfläche des Steins, der bei reduzierter Farbigkeit keine glatte, sondern eine stofflich und formal bewegte Oberfläche besitzt. Die Plastiken behaupten sich nach außen und wirken in den Raum hinein, zugleich ziehen sie den Blick in das Binnengeschehen.

Der Blick in das Innere des Steins, das lässt sich als Chiffre eines archaischen Wunsches, als Symbol für die Expedition zum Wesenskern der Dinge sehen. In Barbara Deutschmanns Arbeiten wird der Betrachter aber zugleich im Ungewissen gehalten. Das Paraffin sorgt für ein diffuses Licht im Innenleben der Plastik. Wie hinter milchigem Glas schimmern Formationen durch. Auf unterschiedliche Weise werden dabei Linien- und Flächenverläufe aus dem Stein aufgenommen und weitergeführt. Elemente und Formen wiederholen sich außen und innen, Dreiecksformen etwa werden variantenreich durchgespielt, mal setzen sich die Achsen und Kanten wie in Treppenformen fort, mal stehen sie quer zum Stein, mal führen sie ein Eigenleben.

Dem großen formalen Reiz, dem ästhetischen Genuss, der sich aus Strenge und Varianz einstellt, steht eine spannungsvolle inhaltliche Herausforderung zur Seite. Der Blick in ein Inneres, in Räume und auf Elemente, die nicht genau zu bestimmen und zu fassen sind, schafft nur bedingt Durchblick im Sinne einer Entdeckung und Erschließung. Diese Binnenschau aktiviert Imagination und Illusion. Innenraum und der innere Blick des Betrachters begegnen sich. Neben stofflich Greifbarem hat Immaterielles, Gedankliches, Metaphysisches hier seinen Platz. „Räumlichkeit ohne Bodenhaftung“ hat das jemand genannt.

Barbara Deutschmann dürfte das gefallen. Sie bringt zwar alle ihre Arbeiten auf einen rationalen Kern und damit ihre eigenen Absichten prägnant auf den Punkt. Doch hinter dem Konkreten und Reduzierten scheint noch immer eine andere Ebene durch. Zur Strenge und zum Kalkül gesellt sich eine Emotionalität, die durch Geometrie in Schach gehalten wird. Im Fluss und im Dazwischen belassen – das gehört auch zum Credo der Künstlerin. Die Arbeiten nie auf einen, nie auf den ersten Blick wirken lassen, nie nur eine Lesart anbieten. Sowohl Konstruktion als auch Organismus könnte sich aus einem inneren Kern heraus entwickelt haben. Nicht zuletzt steht das Wachs für verschiedene Aggregatzustände und somit auch Wirklichkeitsebenen. Behaupten die Plastiken auch eine abstrakte Sprache, lassen sich bei den Blockformen Assoziationen an Architekturen doch nicht ganz verdrängen. Hier scheinen Urbilder von Häusern aktiviert zu werden, vielleicht auch Vorstellungen von Behausung im existenziellen Sinne. So drängen sich, die Künstlerin mag es nachsehen, Gedanken an frühe Werkphasen der Künstlerin auf, in denen unter dem Einfluss des Studiums bei Bernd Altenstein Figürlichkeit im Mittelpunkt stand. Bekanntlich gestaltet Altenstein den Daseinsort des Menschen mit. Bedenkt man nun noch, dass Barbara Deutschmann mal in der Theaterplastik tätig war, gewinnen die neueren Arbeiten doch zumindest einen interessanten Resonanzraum.

Die Figur ist zwar abgelöst, die Plastik selbst agiert im Raum, spricht durch Material und Form. Geometrie ersetzt Psychologie, kein menschlicher Auftritt wird begleitet, keine mimetische Abbildung ist anvisiert – und doch wecken nicht wenige Plastiken Barbara Deutschmanns unmittelbar und mit großer Vehemenz Gedanken und Empfindungen an Menschliches, an Kategorien und Bedingungen menschlicher Existenz.

Neben den blockhaften Hausformen sind es vor allem auch die jüngeren stelenartigen Formen, die solche Assoziationen hervorrufen. Durch die Paraffineinlagerungen, auf den ersten Blick wie Intarsien mit ornamentalen Elementen, zieht sich eine Mittelachse wie eine Wirbelsäule. Das Innenleben der Plastiken gleicht einem Skelett, die kühle strenge Konstruktion besitzt somit einen organischen Kern. Der Daseinszustand ist ambivalent, die Brücke zur Natur aber unübersehbar. Die Natur ist, auch wenn sie nicht nachgebildet wird, auch wenn Analogien sich nach dem intuitiven Schaffensprozess erst im Nachhinein einstellen können, die oberste Referenz für Formschönheit und -klarheit.

Und was sich aus Barbara Deutschmanns Werken über die menschliche Existenz ablesen lässt: Es ist nicht so sehr die äußere Gestalt, die daran denken lässt, sondern es sind formale, strukturelle Momente. Das Ineinandergreifen verschiedener Stoffe und Formen, Kontrast und Korrespondenz, Aktion und Reaktion. Eine Einheit in Kontrapunkten, Verläufe mit Brüchen. Das Aufgehen des Einzelnen im Ganzen. Wegnehmen und ergänzen, öffnen und schließen. Die Bildhauerin arbeitet mit Oppositionen und hat immer den vollständigen Körper im Blick. Nicht um Fragmente geht es, sondern um eine Geschlossenheit, die permanent auf dem Weg ist, als fließender Prozess und als Dialog zwischen Innen und Außen.